Es ist mir ein Bedürfnis, auf die Trattoria Il Deserto zurückzukommen, weil ich gerade jetzt an unseren Besuch dort denken muss und mich frage, was mich daran so fasziniert hat. Zunächst ist es wohl der tatsächliche Andrang an Besuchern, die sich quasi die Klinke in die Hand gegeben haben. Mittags gibt es zwei Belegungen: einmal um 12:00 Uhr und die zweite Runde um 13:30 Uhr. Somit ist verständlich, dass es regelmäßig einen echten „Stau“ schon vor dem Restaurant gibt, wo sich die einen eine Zigarette nach ihrem Mittagessen genehmigen, bevor sie wieder an die Arbeit gehen, und die anderen, hungrig und erwartungsfroh, ihren Tischen zustreben. Dabei wird mir deutlich, dass die Esskultur in Italien doch eine andere ist als in Deutschland. Man nimmt sich mehr Zeit und geht - trotz meistens nicht sehr hohen Einkommens - mittags, wenn auch mitunter nicht täglich, in eine Bar, eine Trattoria oder ein Restaurant, um einen „Pranzo di Lavoro“, einen Mittagstisch, einzunehmen, der speziell für Arbeitende zu moderaten Preisen angeboten wird.
Bei diesen Mittagstischen, die häufig einen Primo, also ein Nudel- oder Reisgericht oder im Herbst und Winter auch eine deftige Suppe als ersten Gang, und einen Secondo, ein Hauptgericht mit Beilage, einschließlich Wein und Wasser zu einem festen Preis beinhalten, wird nicht selten eine erstaunliche, solide und wohlschmeckende Hausmannskost aufgetischt. Die sehr lebendige, aber nicht hektische Atmosphäre in dieser ursprünglichen livorneser Trattoria, mit Menschen aller Altersklassen und Einkommensschichten, die sich diese vielleicht einstündige Auszeit gönnen, ist glaube ich typisch für die italienische Lebensweise und fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Deshalb versuche ich, solche typischen Lokale aufzuspüren, frage Bekannte oder Freunde nach einer Empfehlung oder werde überraschend in ein solches Lokal eingeladen, so wie es mir vorgestern ergangen ist.
Neben der Atmosphäre ist natürlich mindestens genauso wichtig und häufig beeindruckend, was auf den Tisch kommt. Ich habe ja erwähnt, dass es in diesen Lokalen nicht um Haute Cuisine geht, sondern um bodenständige Hausmannskost im besten Sinne des Wortes. Und da die Italiener beim Essen immer ausgesprochen kritisch und anspruchsvoll sind, wird auch beim Pranzo di Lavoro auf Qualität geachtet. Dabei fließen natürlich regionale und lokale Besonderheiten mit ein. Im „Deserto“ kann man beim Primo zwischen unterschiedlichen Nudelsorten wählen: lang, kurz, flach, rund und diese mit einer Sauce nach Wahl kombinieren. Natürlich liegt hier ein großer Schwerpunkt auf Fischgerichten. Meine Spaghetti mit Meeresfrüchten gab es in einer tomatisierten Fischsauce, die auch die Basis für die klassische und berühmte livorneser Fischsuppe „Cacciucco“ ist, die aufgrund ihrer Üppigkeit eher einem Fischeintopf gleicht. Auch mein Hauptgericht ist ein echter Klassiker der italienischen Küche: Frittura di Pesce oder Fritto Misto. Das sind Fische, Fischteile und Meeresfrüchte, die in einem Teig aus Mehl, Salz und Wasser frittiert werden. Dieses Gericht gibt es in vielen unterschiedlichen Ausprägungen. Aber neben Fisch kommen auch viele andere Gerichte und Fleischsorten auf den Tisch wie Pici, die typischen toskanischen Nudeln mit Wurst und Pilzen, Nudelsauce all‘ Amatriciana oder Arrabiata oder als Hauptgerichte Roastbeef, Huhn und fast alles, was das Herz begehrt. Selbst für Vegetarier wird gesorgt. Wer dann noch nicht satt ist, kann das Menü mit einer Nachspeise abschließen. Auch hier stehen Klassiker wie Tiramisù, Panna Cotta, Crema Catalana oder Obstsalat im Vordergrund. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt und werde bestimmt bald wiederkommen.